Warum Titel in Zeiten der Komplexität ein schädliches Tool sind

Vom Sachbearbeiter ganz unten bis zum Director, Vice President und CEO an der Spitze der Hierarchie. Vom Chief of Happiness bis hin zum Minister of Success. Titel sind heute so kreativ wie selten zuvor und es gibt immer mehr neue Ausbaustufen. Gleichzeitig „adeln“ immer mehr Chefs immer mehr „Untergebene“ mit einem Titel und ganz nebenbei häufig auch noch mit einer Führungsposition. Ohne dabei jedoch die Folgen zu berücksichtigen. Die Titel und die Positionsinflation und die Ursachen dafür können langfristig ein Problem für Chef, Mitarbeiter und weit darüber hinaus werden.

Der Sinn von Titeln

In Zeiten und Bereichen, in denen Arbeit kompliziert aber nicht komplex ist, in denen Arbeitsteilung, Silobildung, strikte Hierarchien und Command&Control die Produktivität (scheinbar) steigern, sind Titel ein fester Bestandteil von Strukturen und Prozessen. Sie beschreiben Positionen. Allein der Titel reicht aus, um Einordung und Tätigkeit eines Mitarbeiters innerhalb eines Unternehmens klar zu umreißen. Am Titel sind Rechte, Pflichten, Führungsverantwortung, Gehalt und Benefits festgemacht. Kurz: Titel sind Regeln, die definieren, wer was auf welchem Gebiet entscheiden und tun darf. Sie bestimmen Status und Macht und geben den Menschen damit einen manchmal sogar gewünschten Rahmen bzw. Orientierung und auch Sicherheit.
Gleichzeitig sind bestimmte Positionen bzw. Titel in manchen Fällen aus Governance oder rechtlichen Gründen zwingend gefordert.

Titel sind ein sichtbarer Teil des Versuchs, eine Firma wie eine Maschine zu beschreiben & zu führen.

Alexander Keller

Titel haben Einfluss

Titel klären nicht nur intern Rang und Ordnung zwischen Menschen, Teams und Abteilungen und bestimmen dadurch das Verhalten der Mitarbeiter. Auch nach außen haben sie eine Wirkung. Gegenüber Kunden und Partnern machen sie scheinbar die Wichtigkeit des Kontaktes oder der Zusammenarbeit deutlich. Ein Ansprechpartner vom unteren Ende der Karriereleiter wird da schon mal als Beleidigung empfunden.

Auch bei der Job- oder Mitarbeitersuche spielen Titel noch immer eine sehr große Rolle. Sie geben eine Orientierung, wer scheinbar in welche Position passt und welcher Karrieresprung machbar ist.

Titel und ihre Probleme

Und da wird schon ein großes Problem von Titeln deutlich. Sie sind nicht standardisiert oder geschützt. Das lässt nicht nur immer neue und kuriose Titel entstehen, sondern sorgt auch für immer mehr Verwirrung. Titel sind also immer stark interpretationsabhängig. Und trotzdem gelten sie als Maßstab für den persönlichen Fortschritt auf der Karriereleiter. Dabei werden sie manchmal aus falsch verstandener Wertschätzung inflationär gehandhabt und so brüsten sich völlig unerfahrene Mitarbeiter mit den buntesten Federn – ungewollt sehr gefährlich für das eigene Unternehmen und andere Firmen. Es entsteht eine Blase, da Abbild und Realität nicht mehr stimmig sind.

An Titeln hängen neben der Vergütung auch andere Vorteile und oft auch Führungsverantwortung, die einem automatisch mit der nächsten Karrierestufe zukommt – ganz unabhängig von der Qualifikation dafür, was definitiv Auswirkungen auf den Mitarbeiter und seine Kollegen hat. Das Peter-Prinzip lässt grüßen.

Letztlich sind Titel ein fester Bestandteil eines starren Systems. Sie bauen Hürden zwischen Mitarbeitern, Teams und Abteilungen auf und haben oft den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Zudem erwecken Titel den Eindruck, dass es in komplexen Organisationen Einzelleistungen gibt.

Herausforderungen der modernen Welt

Dank Globalisierung, Digitalisierung und einer dadurch immer größer werdenden Transparenz haben wir es vor allem in Bereichen der Wissensarbeit immer mehr mit lebendigen statt starren Systemen zu tun, bei denen Zusammenhänge schwieriger zu beobachten oder zu beschreiben. Die Art der Kooperation zwischen Menschen und auch Firmen verändert sich. Die Komplexität wächst. Außerdem befinden wir uns auf dem Weg in die Bewusstseinsgesellschaft. Die Anforderungen an Arbeit an sich und an Unternehmen als Arbeitgeber entwickeln und verändern sich.

Es reicht in komplexen System nicht, den Kontext zu verbiegen und zu zerlegen, bis es passt.
In komplexen Systemen müssen wir unser Verhalten und unsere Methodik an den Kontext anpassen.

Alexander Keller

Der Mensch im Fokus

Wenn wir es also mit komplexen und sozialen Systemen zu tun haben, rücken die Menschen, die Mitarbeiter in den Fokus. Wir müssen uns mit ihren Werten, ihren Bedürfnissen und den Beziehungen zu sich selbst, untereinander und zum Unternehmen beschäftigen. Es geht darum, Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass Menschen, Teams und Bereiche ihr volles Potenzial entfalten können. Es geht um ein modernes Menschenbild (Theorie Y), Selbstorganisation und Leadership statt Management. Es geht um Rahmen statt Regeln und eben auch um Rollen statt Titel und Positionen. Es geht um New Work und New Life.

Wir haben in den letzten 100 Jahren Menschen Vor Maschinen ausgebildet – die Maschinen waren die Produktivitätstreiber – das ist vorbei! Das Zeitalter der Bewusstseinsgesellschaft hat begonnen.

Dr. Dr. Cay von Fournier
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